Nicht besonders gut dokumentiert war bislang die Blase-Zeit unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. „Dem Stadtarchiv und einigen Privatleuten liegt eine Jubiläumsbroschüre zum 75jährigen Jubiläum sowie ein paar Stummfilme vor, mehr praktisch nicht.
Ein Anruf von Christiane Munsberg aus Berlin, zuständig für das Literaturprogramm des Jüdischen Kulturfestivals Osnabrück, führte im Mai 2025 zu einigen Überraschungen: Sie verwies auf ein neues Buch mit einer bemerkenswerten Geschichte, die erst 2015 ans Licht kam und deren Spur zur Lübbecker Blase AG führt. Demnach hatten die niederländischen Journalistinnen Hella und Sandra Rottenberg aus Amsterdam von einem letzten Aufruf an die Nachkommen jüdischer Zwangsenteignungen gelesen. Sie meldeten sich bei der zuständigen Stelle, denn sie hatten im Kopf, dass ihr Großvater vor dem 2. Weltkrieg in Deutschland geschäftlich tätig war. Tatsächlich war eine Fabrik in der Liste. Ihnen standen also Entschädigungen zu. Sie hatten keine Vorstellung, was es genau war, und die Familie hatte auch nie Details von der Fabrik ihres Großvaters erzählt, die etwas mit Zigarren zu tun hatte.
Die beiden begeben sich auf eine hartnäckige und intensive Suche und stoßen in deutschen Archiven schließlich auf einen Schatz von Dokumenten, die aufdecken, wie ihr Großvater, der niederländisch-jüdische Unternehmer Isay Rottenberg, furchtlos dafür kämpfte, sein Unternehmen in Nazi-Deutschland zu halten. Eine fesselnde, außergewöhnliche Familiengeschichte und ein neues Gesicht des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. „Ein enorm spannendes Buch“, findet Volker Knickmeyer. Das Buch heißt: „Isay Rottenbergs Zigarrenfabrik“ (ISBN 978-3-8012-0689-5)
1932 übernahm der Amsterdamer Unternehmer Isay Rottenberg die bankrotten Krenter Zigarrenwerke GmbH in Döbeln/Sachsen. Er sanierte und modernisierte das Unternehmen und nannte es: Deutschen Zigarrenwerke. Trotz antisemitischer Anfeindungen konnte er das Unternehmen bis 1935 erfolgreich weiterführen – seine Stellung als Arbeitgeber bot ihm zunächst Schutz vor der NS-Verfolgung. 1935 wurde er verhaftet und enteignet, konnte jedoch auf Fürsprache des niederländischen Konsuls in Dresden nach Amsterdam zurückkehren und schließlich mit seiner Familie in die Schweiz fliehen. „1938 – nach der Reichsprogromnacht – hat unser Großvater letztendlich aufgegeben für die Rückgabe oder eine Kompensation zu kämpfen“, sagt Enkelin Hella Rottenberg. Bei der Deutschen Bank wurde die Zigarrenfabrik „zwischengeparkt“ und für 400.000 Reichsmark an Blase verkauft. Die Bank hatte zuvor mit dafür gesorgt, dass die Fabrik „zwangsarisiert“ wurde. Sie bezahlten nur 100.000 Mark dafür.
Konkurrenz mit Tradition – Der Zigarrenkampf in Ostwestfalen
Als die August Blase AG 1937 die „arisierten“ Deutschen Zigarrenwerke im sächsischen Döbeln der Deutschen Bank abkaufte, markierte das einen Wendepunkt in der Geschichte der westfälischen Zigarrenindustrie. Mit rund 600 neuen Arbeitskräften wuchs die Belegschaft auf über 6.000 Personen. Der Zugriff auf eine hochautomatisierte Fertigung verschaffte Blase einen erheblichen technologischen Vorsprung und eine strategische Aufwertung im nationalen Markt. Für das Werk in Döbeln galt nämlich nicht das von den Nazis verhängte „Maschinenverbot“, welches praktisch bis 1957 zum Schutz der manuellen Arbeit überdauerte.
Deutschland marschiert in das Sudetenland ein, als „Beifang“ wird Blase eine weitere Zigarrenfabrik angeboten. Das Werk in Neutitschein gehörte ursprünglich dem tschechischen Staat und hatte das Monopol für Tabakwaren. Blase übernahm das Werk 1938 vermutlich auf Grund guter Beziehungen zum NS-Regime. Dennoch gab es ein hartes „Kopf an Kopf-Rennen“ um die Marktführerschaft in Deutschland. Blase rang mit Rinn & Closs (Hechelheim) und Arnold André (Osnabrück/Bünde). Ein Großteil der Gesamtproduktion ging an die Wehrmacht.
Die Geschichte der Übernahme von Isay Rottenbergs Deutschen Zigarrenwerken jedoch wurde bis heute weitgehend verschleiert. In der Unternehmensschrift Zigarren aus Lübbecke, die anlässlich des 75jährigen Jubiläums 1938 erschien heißt es harmlos:
„1937 erfolgte als neuer Schritt in der Entwicklung des Unternehmens die Angliederung der deutschen Zigarrenwerke Aktiengesellschaft in Döbeln (Sachsen); dieser fast völlig mechanisierte Betrieb stellt mit seinen 600 Gefolgschaftsmitgliedern insofern eine Vereinfachung der Fabrikation dar, als er an die Stelle der zerstreut liegenden einzelnen Fabriken einen großen geschlossenen Arbeitsplatz setzt.
Damit hat das einmal mit einigen Arbeitern begonnene Lübbecker Stammhaus sich zu bedeutender Höhe entwickelt, die ganz aus der Kraft von drei aufeinanderfolgenden Geschlechtern erfolgte und mit der wege- und zielbewussten Stete einer alteingeborenen westfälischen Familie gesegnet war.“
Diese Unternehmensschrift verdeutlicht, dass keinerlei Unrechtsbewusstsein vorhanden war. Nicht nur das: Blases Führung war streng auf NSDAP-Linie.
Die beiden niederländischen Journalistinnen und Nachfahrinnen von Isay Rottenberg besuchten das Heimathaus im Lübbecker Ortsteil Gehlenbeck, in dem zahlreiche Blase-Exponate zu sehen sind. Sie waren von der Aufarbeitung der Zigarrengeschichte sehr angetan. Ihr Deutschlandbesuch schloss mit einer Podiumsdiskussion im Rahmen der jüdischen Kulturtage in Osnabrück. Zur Buchvorstellung war auch Volker Knickmeyer als Experte eingeladen.






